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Fach-Info

«Die ganze Branche hat ein Problem»

Kaspar Bütikofer, Mitglied Sektorleitung Gewerbe bei der Gewerkschaft Unia. (Bild: proparis) 

Seit drei Monaten steht die Schreinerbranche ohne Gesamtarbeitsvertrag (GAV) da. Schreinersicht.ch befragte von der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite je eine Person über die Auswirkungen des vertragslosen Zustands und wie die Zukunft aussehen könnte. 

Hier das Interview mit Kaspar Bütikofer von der Gewerkschaft Unia. Er war an den GAV-Verhandlungen als Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei. 

Welche negativen Auswirkungen hat der vertragslose Zustand bisher konkret mit sich gebracht?

Kaspar Bütikofer: Arbeitsverträge können glücklicherweise nicht so schnell geändert werden. Und wegen Corona gibt es aktuell praktisch keine ausländischen Firmen, die Mitarbeitende in die Schweiz entsenden. Aber der verschärfte Wettbewerb ist am Markt bereits spürbar, und der Druck auf die Anstellungsbedingungen wird zunehmen. Die negativen Auswirkungen stehen uns noch bevor, wenn der vertragslose Zustand länger dauert. Ein Problem ist die finanzielle Unterstützung der Weiterbildungswilligen, weil im vertragslosen Zustand keine Beiträge eingezogen werden. Unsere Mitglieder werden jedoch von der Unia unterstützt.

Arbeitnehmende freuen sich, dass sie jetzt keine Vollzugskostenbeiträge bezahlen müssen.

Das ist eine sehr kurzfristige Denkweise. Diese Beiträge sind wirklich sinnvoll. Sie sollen jungen Berufsleuten und somit der ganzen Branche Entwicklungsmöglichkeiten bieten. 

Der entscheidende Punkt ist ja das Vorruhestandsmodell. Es sprechen sich auch viele Arbeitnehmer dagegen aus. Sie wollen keine Lohnanteile einzahlen ohne sicher zu sein, ob sie Jahrzehnte später einmal etwas davon beziehen. 

In einer paritätisch durchgeführten Umfrage spricht sich eine Mehrheit der Schreiner/innen für eine Frühpensionierung aus. Das Argument des VSSM greift zu kurz: Das Vorruhestandsmodell funktioniert wie ein Generationenvertrag: Ältere zahlen an die Weiterbildung der Jüngeren, die Jüngeren an die Frühpensionierung der Älteren. Deshalb ist dieses Argument auch aus Arbeitgebersicht kontraproduktiv und unlogisch: Die Arbeitgeber verteidigen damit ihre jungen Mitarbeitenden, von denen ein grosser Teil die Branche verlassen wird. Viel logischer wäre es, die älteren Mitarbeitenden zu unterstützen und ihnen später eine anständige Pensionierung zu ermöglichen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Gemäss VSSM-Statistik verlässt im Alter zwischen 20 und 26 ein Drittel der Berufsleute die Schreinerbranche. Dann bleiben die Zahlen ziemlich stabil. Vom 58. bis zum 65. Altersjahr verschwinden dann aber zwei Drittel aus der Branche, was ich dramatisch finde: Das stolze Schreinergewerbe schafft es nicht, seinen treu dienenden Leuten eine Perspektive zu geben bis zum ordentlichen Ruhestand. Da hat die ganze Branche ein Problem und nicht nur die Gewerkschaften, wie es der VSSM darstellt.

Wie werden die Gewerkschaften beim Thema GAV weiter vorgehen?

Wir wollen den VSSM wieder zurück an den Verhandlungstisch. Die Aussage des VSSM-Direktors, dass es auch ohne GAV gut gehe, ist eine Provokation. Die Schreiner/innen haben einen starken GAV verdient, sie werden auch dafür kämpfen. Wir werden Aktionen vorbereiten und in die Schreinereien gehen, dort die Leute einbeziehen und aufzeigen, was auf dem Spiel steht. 

 

Sehen Sie hier das Interview zum gleichen Thema mit Thomas Iten, Zentralpräsident des Verbandes Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten VSSM. (hw)